Teil I: Durch Aserbaidschan
Dienstag, 25. Januar 2011
Freitag 28. Mai 2010: Baku Flughafen, Suraxani, Baku (43 km)
Wie im letzten Jahr fliege ich mit Austrian Airlines über Wien, das Tor zum Osten. Als ich im Flugzeug in meinem Reiseführer herumblättere, tippt mich mein Nachbar vorsichtig an, ob ihn der Eindruck tatsächlich nicht täusche, dass ich nach Aserbaidschan in den Urlaub fliege und falls ja, wie man denn auf so etwas komme. Er leitet gerade für eine große niederbayerische Baufirma den kompletten Innenausbau des neuen Kulturpalastes vom aserbaidschanischen Präsidentensohn. Ich lerne von ihm, dass man monatelang in Baku gelebt haben kann, ohne aus Baku herausgekommen zu sein.
Nach der Landung habe ich, ohne einen Meter gefahren zu sein, prompt meine erste Fahrradpanne: beim Aufpumpen des Vorderreifens bricht das Ventil ab. Mein (einziger) Ersatzschlauch kommt zum Einsatz, in Baku finde ich hoffentlich Ersatz.
Gut 40 km sind es vom Flughafen in die Stadt, unterwegs liegt der berühmte Feuertempel von Suraxani, der schon Alexandre Dumas 1858/59 auf seiner "Gefährliche(n) Reise durch den wilden Kaukasus" beeindruckt hat. Weniger poetisch sind die überall herumstehenden Ölpumpen und der Ölgeruch. Eine mir völlig unbekannte Szenerie. Bei der Abzweigung zum Feuertempel mache ich an einem Kiosk halt, hier gibt es auch Alkohol, "Ex-UdSSR" schlägt offenbar "muslimisch". Obwohl man den Tempel am Ende der Straße nicht verpassen kann, schickt mir der freundliche Kioskbesitzer gleich seinen Sohn als Fremdenführer mit. Das "ewige Feuer" im Feuertempel brennt schon lange nicht mehr, für einen einzelnen Touristen wird das auch nicht extra angezündet. Die Anlage ist aber schon sehenswert.
Frauen und Männer streunen getrennt voneinander herum:
Der Verkehr wird dann Richtung Baku recht heftig, auf den Parkplätzen um die zentrale Flaniermeile geht es drunter und drüber, es ist ein einziges großangelegtes sich gegenseitiges Blockieren. Alles ist auf den Beinen und flaniert auf und ab. Per Internet hatte ich schon zu Hause zwei Nächte im "Old City Inn" gebucht, das von englischsprechenden Studenten geführt wird und recht malerisch in der historischen Altstadt liegt und über eine spektakuläre Dachterrasse verfügt, die gerade zu einer Bar umgebaut wird. Beim Betreten der Altstadt am berühmten Jungfrauenturm taucht man innerhalb weniger Schritte in eine geheimnisvolle Märchenwelt ein, fern vom Ölboom-Rummel nebenan.
Samstag 29. Mai 2010: Baku (0 km)
Los geht es mit einem Ruhetag in Baku. Süleyman, der freundliche und perfekt englisch sprechende Chef des Hotels, verspricht mir, ein neues Ventil zu besorgen. Er kennt angeblich einen guten Fahrradhändler, der sowas hat. Beim Jungfrauenturm findet ein Wettbewerb statt, bei dem zig internationale Künster jeweils ein etwa mannshohes Modell desselben bemalen.
Ein einheimischer Tourismusstudent spricht mich freundlich an und zeigt mir die Altstadt und einige prächtige Moscheen. Dann ruft der Muezzin und er verabschiedet sich zum Gebet. Nachmittags habe ich eine Verabredung mit einem entfernten Arbeitskollegen, den ich ein paar Wochen zuvor auf einem Seminar in Wien (dem Tor zum Osten) kennengelernt hatte. Die Stimmung sei noch gut, aber man wisse nicht, was nach dem Ölboom kommt. Die wichtigste Aussteuer für die Kinder sei, dass sie ordentlich Englisch lernen. Seine Frau hat mir extrem feine lokale Spezialitäten als Proviant gebacken.
Zurück im Hotel, klemmt mein Schlauch wie versprochen im Gepäckträger. Die Freude währt aber nur kurz, denn es ist immer noch der kaputte, ohne Kommentar. Nach langem Hinterhertelefonieren nach Süleyman, der mittlerweile zur Familie aufs Land gefahren ist, erfahre ich, der Fahrradhändler hätte das Ersatzteil nicht gehabt, und einen neuen Schlauch wollte er ohne meine Zustimmung nicht kaufen. Ärgere mich ein bisschen über mich selber, ihm nicht klar gesagt zu haben, dass er in dem Fall natürlich schon einen ganzen neuen Schlauch kaufen soll. Aber was soll's, morgen früh wird losgefahren, Flickzeug reicht für zwei kleine Pannen. Überraschenderweise spricht der Rezeptionist, ein Student, neben Englisch auch perfekt Französisch. Und immer wieder beeindrucken mich die Freundlichkeit und der allgemein sehr zivilisierte Umgang.
Sonntag 30. Mai 2010: Baku, Samaxi (152 km)
Es kann losgehen! Frühmorgendlicher Abschied von Baku, vorbei an den schönen orientalischen Bädern mit den typischen Kuppeln und den ersten Ölboom-Palästen von Nobels und Rothschilds, die natürlich als Erste auf der Matte standen, als sie das Öl am anderen Ende der Welt gerochen haben.
Es ist Sonntagmorgen, der Verkehr ist ruhig, die Straßen sind breit. Ich kurve durch einen riesengroßen Friedhof mit sehr lebendingen Porträts der Verstorbenen. Am Stadtrand stehen dann riesige Rohbau-Friedhöfe, das wird wohl auch nie fertiggebaut. In vielen Vorgärten stehen kleine Ölpumpen, so wie bei uns im Garten etwa ein Pump-Brunnen stehen würde. Ab und zu kommt man an kleinen Schafherden vorbei oder Kühen, die im Müll herumwühlen. So schnell ist die Öl-Glitzerwelt vorbei, der Ölboom scheint es nicht über die Villen der Ölbarone hinaus geschafft zu haben. Heute werden pro Tag durch die weltweit längste, 2005 in Betrieb genommene, Ölpipeline von Baku über das georgische Tiflis zum türkischen Schwarzmeerhafen Ceyhan über eine Million Barrel Öl auf den Weltmarkt gepumpt. Und hier am Stadtrand haben die Kioske kein fließendes Wasser, es muss in Kanistern gebracht werden. Die Landschaft ist grasig, karg und sanft gewellt, Bäume gibt es keine. Zum Glück ist der konstante Gegenwind Richtung Meer nicht stärker.
Ich komme an unzähligen Samowar-Stationen vorbei, immer winkt man mir und lädt mich zum Teetrinken ein. Nur etwa jede zehnte Einladung nehme ich an, sonst würde ich nicht vom Fleck kommen. Die Leute sind unglaublich freundlich. Gegen 18 h, nach etwa 100 km, zwingt mich ein Auto zum Anhalten, Fototermin, s.u. An einem Kiosk wird mir eine Flasche Mineralwasser geschenkt, im Garten nebenan werde ich zum (wie immer kostenlosen) mitessen eingeladen. Die zuvor kargen, sandigen Hügel werden irgendwann abrupt grün und satt. Es sind einfach wunderbare, friedliche Fahrbedingungen. Es geht durch Samaxi, einen ehemals wichtigen Stützpunkt auf der Seidenstraße, der schon im 1. JH vom ägyptischen Geografen Ptolemäus erwähnt wurde. Leider ist von der ehemaligen Pracht nichts mehr zu sehen, im Gegenteil. Ein monströses "Tualet" (WC) Schild hängt an einem Haus bei einem kleinen Fluss. Die Hauptattraktion ist für mich eine große Anlage mit Wasserhähnen an einem Parkplatz - für die Abendwäsche. Nebenan, in einer Laube, wird sehr stilvoll gerade für ein paar junge Männer das Essen aufgetragen: frischer Salat, Tomaten, Gurken, Brot, Schaschlik, dazu ein großes kaltes Bier für Jeden. Ich werde wieder herzlich eingeladen, mitzutafeln. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich hungriger angekommen. Hm, zumindest heute möchte ich die 150 km pro Tag schaffen, also fahre ich weiter.
Einige Kilometer hinter Samaxi nehme ich auf etwa 960 HM die nördliche Abzweigung Richtung Ismaylli und Säki, fahre also nicht auf der Hauptstraße nach Agsu im Süden. Es geht einen langen Pass hinunter, über den Fluss Agsu, und dann wieder mindestens so lange bergauf. Es kommt in der nun schon völligen Dunkelheit kaum ein Auto, die Stille in dieser friedlichen, sanften Hügellandschaft ist faszinierend. Einmal werde ich von einem Transporter überholt, er hält an, eine Handvoll Männer kommt auf mich zu. Sie bieten mir an, mich samt Rad mitzunehmen. Als ich freundlich abwinke und mich bedanke, lassen sie mich auch gleich wieder in Ruhe. Ich bin mir völlig sicher, dass ich mich hier völlig sicher fühlen kann, auch nachts. Die Leute sind einfach nur freundlich, hilfsbereit und unaufdringlich. Kurz nach 23 h breite ich etwas neben der Straße in einem Kornfeld meine Plastikplane aus, Isomatte und Schlafsack drauf und wenige Minuten später bin ich schon weg.
Montag 31. Mai 2010: Ismayilli, Säki (165 km)
Die Biwakiererei ist für mich einfach die schönste Art einzuschlafen und aufzuwachen. Als ich fast schon abfahrbereit bin, steht plötzlich aus dem Nichts ein junger Mann mit Pferd neben mir. Wir verständigen uns wortlos darauf, kurz das Transportmittel zu tauschen. Apropos, von der Sprache ist ohne entsprechende Kenntnisse kein einziges Wort auch nur ansatzweise zu verstehen. Englisch höre ich außerhalb von Baku nie, am ehesten würde noch Russisch bei älteren Leuten gehen.
Ich weiß nicht, wer von uns Beiden sich uneleganter bewegt, aber er hat das Pech, von mir vom Pferd aus gefilmt zu werden (bei 0:28 verliert er die Kontrolle). In der zweiten Hälfte des Videos sieht man seinen Samowar-Stand auf der Passhöhe (1050 HM), wo er glaube ich den ganzen Tag verbringen wird. Natürlich möchte er mich mit Tee abfüllen, so viele Touristen kommen hier wahrscheinlich nicht vorbei, die ihm Gesellschaft leisten könnten, aber ich muss weiter, außerdem ist es ohne ein gemeinsames Wort zu kennen, echt anstrengend (außer çay - Tee natürlich).
Es folgt nun bis zum Abend eine wirklich faszinierende Wegstrecke am Fuß des Großen Kaukasus. Viel unverbaute Natur, die Flüsse kommen ungebändigt direkt aus den Bergen, die Flussbetten sind sehr breit. Nur einmal zwingt mich ein kurzer sehr heftiger Regenschauer zum Anhalten, ansonsten ist es angenehm nicht zu heiß, da die Straße recht hoch liegt. Alle paar Kilometer sieht man frei herumlaufende Pferde, Schafe, Ziegen. Die Straßen sind gut, der Verkehr sehr dünn. Ständig wird man wieder zum Tee eingeladen, alle Leute winken, eigentlich könnte ich meinen zurückwinkenden Arm gleich ganz oben lassen, ich komme mir vor wie ein Staatsbesuch. In dieser friedlichen Stimmung stoße ich auf das erste größere "1941 - 1944" Denkmal. Hier mache ich kurz Pause und trockne meinen Schlafsack. Zweimal werde ich wortlos zum Pferd-gegen-Drahtesel-Rennen herausgefordert. Das gegen den einzelnen Reiter verliere ich natürlich, aber den Pferdewagen kann ich abhängen. Ich möchte heute bis Säki fahren und wie Meister Chris (on the bike) in der Karawanserei übernachten. Das zieht sich aber noch. Vom Ortseingangsschild in Säki, das ich erst nach 22 h erreiche, sind es noch 6 endlos lange Kilometer bergauf in die Karawanserei. Vor 7 Jahren hatte Chris 6 EUR für seine Suite bezahlt, heute sind es 20 EUR, dafür bekommt man mittlerweile eine warme Dusche, und der Strom funktioniert. Es ist eigentlich der erste größere Geldbetrag seit Baku. Dort hatte ich am ersten Tag ruckzuck 200 EUR verbraucht (ohne Übernachtung), in den folgenden beiden Tagen insgesamt nur etwa 5 EUR, da ich fast immer eingeladen wurde.
Dienstag 1. Juni 2010: Säki, Baydarli, Zaqatala, Lagodekhi (160 km)
Der Innenhof der Karawanserei ist wirklich märchenhaft. Nebenan, mitten im Rosengarten, wäre ein ganz tolles Restaurant, aber meinen Versuch, dort zu frühstücken, breche ich nach etwa 10 Minuten ungeduldig ab, da man dort nicht mal schnell eben was im Stehen bekommt, sondern sich 5 - 10 Bedienstete aufwändig um einen bemühen, was ich gar nicht wollte. Die Pausen hebe ich mir lieber für später auf, wenn ich erschöpft bin. Der Khanspalast am Ende der Straße ist die Hauptsehenswürdigkeit von Säki, eine deutsche Reisegruppe wird herumgeführt. Nach 1991 gab es im Palast eine Zeitlang kein Gas, eine Gruppe von Denkmalpflegern aus Mecklenburg hat die damals entstandenen Wasserschäden an den Fresken etwas stil-unecht mit wolkigen Motiven übermalt, aber was soll man machen? Am Ausgang betrachtet ein Herr mittleren Alters mein Fahrrad, er sei eigentlich auch ein begeisterter Radfahrer. Aber er scheint eine Krankheit am Kehlkopf zu haben und kann eigentlich kaum sprechen.
Am Stadtpark in Säki gibt es eine türkische Bäckerei, der Fladen schmeckt so gut, dass ich gleich nachkaufen will. Aber man schenkt mir die zweite Bestellung einfach so. Danach finde ich endlich das erste normale Restaurant seit Baku und meinen ersten Borschtsch, ein Traum. Ein Bier gibt es allerdings diesmal nicht.
Es ist für die nicht extrem abenteuerlustigen Menschen empfehlenswert, von Säki nach Zaqatala nicht die kürzere nordöstliche Verbindung über Qax zu nehmen, da es dort zum Teil keine Brücken gibt, sondern wie ich den Umweg über die ein paar hundert Meter tiefer gelegene südliche Straße neben der Eisenbahnlinie. Es geht also insgesamt etwa 450 HM bergab zum großen Eingangstor von Säki, hier spürt man die Hitze schon deutlicher. Die majestätischen Gipfel des Großen Kaukasus tauchen zwischen den Wolken auf.
Teilweise sind die Brücken auch hier voller Schlamm, weiter oben auf der nordöstlichen Straße sind die Straßen angeblich für Autos teilweise unpassierbar. An einem Kiosk will der Besitzer kurz mein Fahrrad testen und schenkt mir dafür eine (sogar noch nicht abgelaufene) Zweiliterflasche Fanta. Generell befinden sich die Sachen in den Kiosken meist in der Zwischenwelt nach dem letzten Verkaufsdatum, aber noch vor dem Ablaufdatum.
Die beiden letzten größeren Orte in Aserbaidschan, Zaqatala und Balakän, lasse ich links liegen, da ich noch in der Nacht nach Georgien einreisen möchte. Die Straßen und Brücken in diesen Orten sind originell (oder kitschig, je nach Sichtweise) mit überdimensionierten Lichterketten behängt. Die paar Kilometer bis zur Grenze gehen dann durch unbeleuchteten dichten Wald, es ist absolut stockfinster, beinah gruselig, und totenstill. Um 0:30 h fahre ich erwartungsvoll über die Brücke von Aserbaidschan nach Georgien, einige düstere Gestalten schlendern herum. Aber hier an der Grenze braucht man natürlich keine Angst zu haben.
"Herzlich Willkommen", begrüßen mich die sehr netten georgischen Grenzbeamten auf deutsch. Und "don't be afraid", worauf ich frage, ob es denn gefährlich sei. "Nein, gar nicht". "Also sind nur die Hunde gefährlich?" "Ja, nur die Hunde", und sie schütteln "tsssss" murmelnd den Kopf. Ich habe keine Vorstellung von dem Land, außer, dass man hier extrem gastfreundlich sein soll. Sie halten ihre Hunde an der Grenze fest, so kann ich unbelästigt losdüsen, hinein ins geheimnisvolle Georgien. Nach wenigen Minuten gibt es, welch Glücksfall, sogar eine Wasserstelle am Wegrand und ich möchte mich biwakfertig machen.
Sein T-Shirt! |
Ich hoffe, dass der Rest in Georgien etwas unanstrengender wird. Im Nachhinein muss ich sagen, ich hätte mich vorab mehr über die Sitten in Georgien informieren müssen, wo Frauen nicht einmal Auto fahren, auch nicht tagsüber.
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